Reflection

verfasst von Elke Hieronimus M.A., Kunsthistorikerin

Galerie im Kreishaus 13. Oktober 2005

Der Titel dieser Ausstellung „reflection“ kennzeichnet eine neue Schaffensphase, die schon in der Ausstellung „Existenz“ im Jahre 2002 in Kronberg erste Tendenzen erkennen ließ.

Diejenigen unter Ihnen, die mit der Malerei Su-Kyong Yus vertraut sind, werden sicher festgestellt haben, dass der Farbe wieder eine größere Bedeutung zukommt als bisher. Die Palette von überwiegend Schwarz, Weiß, Grau- und Blautönen ist um ein ganzes Spektrum an Farben erweitert worden.

Wer Su-Kyong Yu noch nicht kennt, dem möchte ich kurz einige biografische Informationen geben. Geboren wurde sie in Süd-Korea. Sie studierte an der renommierten Ewha Women’s University in Seoul traditionelle asiatische und freie Malerei.

Nach dem Studium unternahm sie Reisen nach Europa. Seit 1990 lebt sie in Friedberg, wo 1993 ihr Sohn geboren wurde. Hier betreibt sie eine Malschule, mit der sie neben diversen Auftragsarbeiten, wie z.B. auch Buchillustrationen ihren Lebensunterhalt bestreitet.

Da ihre Bilder weder eine gegenständliche Orientierung geben noch ihnen eine abstrakte Komposition zugrunde liegt, möchte ich sie mit dem Begriff „atmosphärische Bildräume“ charakterisieren.

Wenn auch viele Arbeiten hier Assoziationen von Raum, Landschaft, Himmel oder Wasser erwecken, so sind sie doch keine Abstraktionen der sichtbaren Welt, sondern als eine Art Grundmuster einer ureigenen Wirklichkeit und Gedankenwelt zu verstehen, und sollten daher meiner Meinung nach als meditative Bilder verstanden werden.

Die Grundlagen ihrer Malerei sind stark durch die traditionelle asiatische Malkunst geprägt.

Charakteristika der traditionellen asiatischen Malerei sind zum einen ein strenger Grundaufbau mit einem zentralem Fluchtpunkt und einer vertikal oder diagonal geteilten Bildfläche, und zum anderen der immanente Symbolgehalt der Farben. Ganz entscheidend ist die Verknüpfung mit den ostasiatischen Philosophien. So hat die unbemalte Fläche oder der „weiße Raum“ eine metaphysische Bedeutung im Sinne des absoluten Seins, aus dem alles Leben entspringt und in das Nichts zurückkehrt. Die Farbe beschreibt die „weltlichen Belange“, ihr entströmt der geistige Rhythmus des Werdens und Vergehens.

Weiterhin werden besonders die Gestaltungsintentionen von der Aufhebung der Formgrenzen, sowie dem gleich berechtigten Nebeneinander von Gegensätzen, wie den Prinzipien Yin und Yang hervorgehoben.

Ich halte diese Aspekte für eminent wichtig, um zu einem besseren Verständnis von Su-Kyong Yus Malerei zu kommen und möchte daher noch etwas zu den philosophischen Ansätzen erläutern.

Die Taoistische Philosophie und der Zen-Buddhismus begründen sich stark auf die Naturbeobachtung und haben dabei die Bedeutung der Fluktuation erkannt. Sie stellen die wechselseitige Abhängigkeit aller Aspekte der Wirklichkeit und die nichtlineare Natur ihrer Verknüpftheit besonders heraus. Sie besagt u.a., dass die Umwelt nicht nur lebend ist, sondern wie wir selbst mit Geist begabt ist – einem, nach Laotse, kosmischen Geist.

Der Taoismus steht für eine spirituelle Seinsebene. Der Grundgedanke „pantha rei“ – „Alles fließt „verdeutlicht das Einssein mit allen Dingen der Natur. Durch Meditation sollten wir die Fähigkeit erlangen in den Urgrund alles Entstandenen und Entstehenden zurückzufließen.

Auch wenn Su-Kyong Yu über ihre Arbeit spricht, beschreibt sie den Prozess als ‚im Fluss sein mit dem Entstehenden‘. Sie arbeitet aus dem Unbewussten ins Bewusste.

Auch ihre Aussage „Ich male nicht aus Spaß oder Lust, sondern das BIN ich“ bestätigt diesen Aspekt.

So ist es nicht erstaunlich, dass je nach Lebensphase und Stimmung, die Bilder eher dramatisch und verschlossen oder offener und bewegt anmuten. Malen ist für sie Schicksalsbewältigung und -beeinflussung.

Ihre Bilder sind immer in mehreren Ebenen angelegt, die die Betrachter jedoch im Unklaren darüber lassen, wie diese Ebenen zu einander stehen – ähnlich optischen Täuschungsbildern, wie z.B. bei Escher.

Die Raumillusion wird immer wieder durch gezielt gesetzte Brüche zurückgenommen. Hier ein zufällig laufender Farbtropfen oder da, ein wie aufgerissen aussehendes Stück Leinwand, das den schweifenden Blick unterbricht.

In immer neuen Variationen und Interpretationen entstehen optisch oft ähnliche Bilder, da im Prozess des Malens intuitiv Verknüpfungen zu anderen Bildern entstehen. Sie beschreibt diesen Prozess als Raum, in dem sie sich im Geiste bewegt und dabei neue Perspektiven erschließt. Diese Verschachtelungen weisen sehr subtil auf Nebenschauplätze im Bild hin, die in ihrer Andeutung allerdings entscheidend für die Gestaltung sind.

Spirituelle und religiöse Inhalte werden thematisiert, z.B. Wiedergeburt, Unsterblichkeit der Seele, Diesseits und Jenseits. Sie können Hinweis und Erklärung sein für den oftmals dramatisch anmutenden Bildaufbau. Wie auch für das heraus brechende gleißende Licht, das die Dunkelheit aufbricht und gleichermaßen Symbol für Hoffnung und Trauer sein kann.

Darüber hinaus gelingt es ihr, diese zuvor genannten gegensätzlichen Prinzipien Yin und Yang, die alle Lebensbereiche durchdringen, darzustellen – durch die Komplementäre Zufall und Ordnung, Licht und Schatten, Nähe und Tiefe, die alle einander bedingen.

Ihr gelingt hier eine Synthese abendländischen Malstils mit asiatischer Philosophie.

„Jede unserer Erkenntnisse beginnt bei den Empfindungen.“ Dieser Satz Leonardo da Vincis kann kategorisch auf die Malerei Su-Kyong Yus bezogen werden.

In einer so verstandenen Empfindung fallen Sinnlichkeit und Erkenntnis nicht auseinander, sie sind zusammen gebildet; Empfindung als Ausgangspunkt unserer Erkenntnis ist bedingt und bezeugt durch Farbe und Form. Diese Bilder können somit Modelle von Selbsterfahrung sein.

Die jüngste Arbeit ist eine Installation, die das vorher gesagte, also Empfindung und Erkenntnis auf eine andere Art veranschaulicht.

In dieser Installation geht es um die Wahrnehmung eines Bildes, um eine Kontaktaufnahme über den direkten Blick, so als wollte das Bild sagen „Ich sehe dich an, komm und sprich mit mir!

Unser Blick allein entscheidet intuitiv und individuell, wie wir das Bild sehen, welches Bild in unserem Kopf entsteht.

Als Betrachter stehen wir dem Bild nicht gegenüber, sondern treten im Prozess der Anschauung in das Bild ein. Das Auge blickt nicht allein auf das Bild, sondern es befindet sich ebenso gut in ihm.

Die Erfahrung des Im – Bild -Seins und die Erfahrung eines bildlichen Gegenübers sind ineinander geblendet.

Diese widersprüchliche Bilderfahrung, die im Anschauungsprozess vollzogene Einheit einer Innen- und Außenerfahrung, aktiviert über das Auge alle Sinne des Betrachters.

Su-Kyong Yu dringt mit ihren Bildern in eine andere Ebene der Wirklichkeit vor, in eine Ebene die hinter dem materiell Erfahrbaren liegt, die dem sinnlichen Ausdruck verleiht.